Bremen in der Hanse
Die Bremer gelten als bodenständig, nüchtern, weltoffen, gar aristokratisch und ein bisschen steif. Kurz: Sie gelten als typisch hanseatisch. So sagt man jedenfalls. Doch was ist eigentlich typisch hanseatisch? Woher kommt der Begriff und was hat Bremen heute noch mit ihm zu tun?
Um das zu klären, muss die Zeit zunächst um ein paar Jährchen zurückgedreht werden: Die Hanse war eine der bedeutendsten Fernhandelsgilden in Europa. Der Organisation gehörten rund 70 große und bis zu 130 kleinere Städte an. Nicht nur Städte wie Hamburg, Lübeck und Bremen, die häufig im Zusammenhang mit der Hanse genannt werden, zählten dazu, sondern beispielsweise auch Berlin oder das polnische Krakau. In ihren besten Zeiten erstreckte sich der Einflussbereich der Hanse auf ein Gebiet, das heute mehr als 20 europäische Länder umfasst. Zeitweise war sie so mächtig, dass sie Wirtschaftsblockaden und Kriege gegen Fürstentümer und Königreiche durchsetzen konnte. Über 400 Jahre lang, ungefähr bis zur Entdeckung Amerikas, prägten die Mitglieder der Hanse Politik und Wirtschaft im Nord- und Ostseeraum entscheidend.
Dabei fing alles ganz klein an: Seit Mitte des 12. Jahrhunderts entstand und wuchs die Hanse als ein freier Zusammenschluss von Fernkaufleuten. Die Gruppe, in niederdeutscher Sprache „Hanse“, gab den reisenden Kaufleuten Schutz. Auch konnte man gemeinsam seine Interessen in den Zielhäfen besser vertreten. Da in verschiedenen Regionen und Ortschaften nach und nach einzelne Zusammenschlüsse der Fernkaufleute entstanden, lässt sich für die Kaufmannshanse kein Gründungsdatum bestimmen. An dieser Stelle sei erwähnt, dass Hamburg und Bremen auch schon vor der Gründung ihrer Fußballvereine ab und zu aneinandergerieten: 1418 sollen sich die beiden Hansestädte nämlich um das Gründungsjahr der Organisation gezankt haben, bis sie sich mit ihrer Frage schließlich an die Stadt Köln wandten. Doch auch die Kölner konnten nicht weiterhelfen. Hamburg und Bremen haben jedoch bewiesen, dass es auch miteinander geht: Zwar war die Hanse längst untergegangen, doch hatten sie bis Ende des 19. Jahrhunderts gemeinsame diplomatische Vertretungen und Konsulate in aller Welt.
Strukturelle Veränderungen in Europa führten schon Mitte des 13. Jahrhunderts dazu, dass sich aus der ursprünglichen Kaufmannshanse, einem Zusammenschluss von Kaufleuten, die Städtehanse entwickelte, ein Bündnis zwischen Städten. Die Schutz gebenden Fahrgemeinschaften wurden unnötig, als die Handelswege sicherer wurden und sich die Kaufleute in den vielerorts gegründeten Städten niederlassen konnten, in denen ein regelmäßiger Markt möglich war. Der Handel wurde für die Kaufleute umso lukrativer, da sie aus ihrer Heimatstadt mehrere Vertreter gleichzeitig in verschiedene Städte schicken konnten. Mit der Einführung von Schuldscheinen und anderen Kreditformen konnten die Kaufmänner zudem den reinen Tauschhandel aufgeben und ihre Handelsmöglichkeiten noch weiter ausbauen.
Besonders wichtig zu Zeiten der Städtehanse waren die so genannten Hansetage, auf denen Beschlüsse besprochen wurden. Allerdings waren die entsendeten Vertreter nicht bevollmächtigt, einem Beschluss zuzustimmen oder ihn abzulehnen. Sie reisten anschließend mit den Ergebnissen nach Hause, um sie den Ratsherren vorzustellen. Unterschiedliche wirtschaftliche Interessen ließen nicht zu, dass ein Beschluss von allen Mitgliedern mitgetragen wurde. Doch es wurde zumindest so lange verhandelt, bis sich nahezu alle einig waren.
Die wirtschaftlich erfolgreichen Kaufleute waren in den Städten sehr angesehen und wurden ins Rathaus und für andere relevante Posten gewählt. Noch heute gibt es in Bremen einige herrschaftliche Kaufmannsvillen, die einst von den wohlhabenden Hansemitgliedern erbaut wurden. Auch einige Straßen und Plätze verweisen auf die Fernhandelsgilde, wie zum Beispiel der Hanseatenhof in der Innenstadt.
Ganz besonders am Bremer Marktplatz ist die einstige Zugehörigkeit zur Hanse zu erkennen. Da ist zum Beispiel der steinerne Roland, der zusammen mit dem Bremer Rathaus zum UNESCO-Welterbe zählt. Die Roland-Figur ist weltweit ein Symbol für Freiheit und Marktrecht, das den Kaufleuten verliehen wurde. Der Bremer Roland ist schon über 600 Jahre alt und gilt als eine der ältesten und prächtigsten Roland-Statuen, von denen es viele in Europa gibt. Der Schütting am Marktplatz, der Sitz der Handelskammer ist, war einst das Gildehaus der Kaufleute. Der Name „Schütting“ stammt möglicherweise vom „zusammenschütten“ des Geldes. Eine andere Herleitung ist die norwegische Bezeichnung „Scoting“ für ein Schutz und Wärme gewährendes Haus, im Niederdeutschen wird schützen mit „schütten“ übersetzt. Im prächtigen Bremer Dom, der zu Zeiten der Hanse gebaut wurde, fanden ratsherrliche Versammlungen und bürgerliche Zusammenkünfte statt.
Maßgeblich für den Untergang der Hanse waren die Entdeckung Amerikas und die Ausweitung des Handels bis nach Übersee. So entstand eine starke Konkurrenz für die Hanseleute und die Hanse verlor immer mehr an wirtschaftlicher und politischer Bedeutung. Der letzte Hansetag, bei dem Hamburg, Lübeck und Bremen als Erben der Hanse bestimmt wurden, fand 1669 statt. Bis 1990, als verschiedene ehemalige Hansestädte den Begriff Hansestadt wieder in den Stadttitel aufnahmen, trugen lediglich diese drei den Beinamen offiziell.
Als „Hanseaten“ bezeichnete man seit dem Untergang der Städtehanse die Mitglieder der Oberschicht dieser drei offiziellen Hansestädte. Heute meint der Ausdruck eher alle Bewohner von Hamburg, Lübeck und Bremen. Eine wichtige Eigenschaft, die man den Hanseaten zuschrieb, war der Stolz. Die Hanseaten sollen dafür bekannt gewesen sein, ihre Heimatstadt als den schönsten Ort der Welt zu empfinden. Und das geht tatsächlich auch heute noch beinahe jedem Bremer so.
Ein anderes, sehr bedeutendes und beliebtes „Überbleibsel“ aus Hansetagen ist der Freimarkt. Erst als 1318 das Marktrecht verkündet wurde, konnte ein regelmäßiger Markt stattfinden. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde aus dem damaligen Warenmarkt das fröhlich-bunte Volksfest, das heute jährlich 4.000.000 Besucher anlockt.
Die Hanse ist mit positiven Eigenschaften im öffentlichen Gedächtnis geblieben. Sie steht für Vertrauen, Verlässlichkeit und nicht zuletzt für den wirtschaftlichen Erfolg, den die Organisation einst vorweisen konnte. So ist es nicht verwunderlich, dass viele Unternehmen den Begriff „Hanse“ in den Firmennamen integrieren, um von solchen Attributen zu profitieren. Von Versicherungsgesellschaften über Hotels und Restaurants bis zu Immobilienbüros gibt es in Bremen eine Vielzahl an Unternehmen, die darauf setzen. Achten Sie doch einmal darauf!
1980 wurde übrigens die „neue“ Hanse mit dem Ziel gegründet, den Handel und insbesondere den Tourismus in den ehemaligen Hansestädten zu fördern. Die Organisation mit Sitz in Lübeck möchte den Geist der Hanse als Lebens- und Kulturgemeinschaft der Städte lebendig halten. Weitere Informationen dazu gibt es unter www.hanse.org.